Einführungsrede von  Georg Schäfer, Künstler, anlässlich der Eröffnung 2023 in Herzogenrath

Das Stille Post Projekt

Liebe Künstlerinnen und Künstler, liebe kunstinteressierte Anwesende,
es ist mir eine große Freude, dass mir die Ehre zuteilwird, eine kleine Einführung in das „Stille Post Projekt“ zu geben. Ein Projekt, das mir persönlich ganz besonders am Herzen liegt. Und das nicht, weil ich als Künstler selbst Teil des Ganzen sein darf, sondern weil dieses Kunstprojekt einen Aspekt anspricht, der in den letzten Jahren in der Kunstwelt enorm an Bedeutung gewonnen hat. Und das ist seine Relation zur Kunstvermittlung. Immer wieder kann man erleben, dass Besucher in Ausstellungen von Galerien, Kunstvereinen, Museen oder Messen ratlos vor Kunstwerken stehen und sich – oft auch laut - die berühmte Frage stellen: ist das Kunst oder kann das weg? Und diese Ratlosigkeit rührt meist daher, dass dem Betrachter der nötige Zugang fehlt - ja, dass er diesen so ohne Weiteres oft auch gar nicht haben kann. Das wiederum liegt in der Natur der künstlerischen Arbeit begründet. Denn die zu Lebzeiten ausgestellten Arbeiten eines Kunstschaffenden sind für den Kunstschaffenden selbst so gut wie nie der Anfang von Etwas, sondern sie stellen vielmehr so gut wie immer den vorläufigen Endpunkt – den Status Quo – eines an sich nie abgeschlossenen Prozesses dar. Genau wie ein wissenschaftlicher Forscher sich immer tiefer in seine Materie einarbeitet, so tut dies auch der Künstler. Von seinem ersten Werk ausgehend begibt er sich auf eine Reise und dabei entsteht Schritt für Schritt, ein Werk nach dem anderen. Immer als logische Konsequenz aus dem Vorausgegangenen. Sowohl inhaltlich als auch im Umgang mit seinen Mitteln ist der Künstler innerhalb seines Sujets stets auf der Suche nach einer Art Wahrheit oder einer Essenz, die, im besten Falle, noch nie zuvor in der von ihm gewählten Art und Weise zum Ausdruck gebracht wurde. Für die Betrachter, die in der Regel an diesem Entwicklungsprozess nicht teilnehmen können, kann dieser Status Quo, dieser vorläufige Endpunkt eines Schaffensprozesses, genau das Gegenteil eines Endpunktes darstellen, nämlich den Beginn. Den Beginn von etwas – für ihn mitunter erschreckend, verstörend Neuem. Dabei ist alles, was den Betrachtern fehlt, das Bindeglied. Das Bindeglied zwischen dem Ausgangspunkt,
dem Ursprung der künstlerischen Arbeit und dem Status Quo der künstlerischen Entwicklung.
The Missing Link.

Übertrage ich das Ganze nun auf diese heutige Ausstellung, dann lässt sich feststellen, dass das ganze Projekt diese eben beschriebene Natur der künstlerischen Arbeit auf ganz wunderbare Art und Weise spiegelt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass es nicht das eigene Werk ist, dass die beteiligten Künstlerinnen und Künstler zur Fortsetzung des künstlerischen Prozesses inspiriert, sondern das Werk der jeweiligen VorgängerInnen. Alle Beteiligten kennen jeweils nur das ihnen unmittelbar vorausgegangene Werk und sind aufgefordert, einen Funken daraus aufzunehmen, um diesen mit den eigenen künstlerischen Mitteln, also dem Status Quo der eigenen künstlerischen Entwicklung weiterzuführen, weiterzutreiben, weiterzuentwickeln. Bei diesem Funken kann es sich beispielsweise um ein inhaltliches, technisches oder formal gestalterisches Merkmal handeln. Wie nah oder fern sich der eine oder die andere dabei vom vorgefundenen Pfad entfernt, bleibt ihnen selbst überlassen. Alleinig entscheidend ist die Adaption und Progression einer Idee. So ist denn auch das gesamte Projekt nicht als Ausstellung von Einzelwerken, sondern vielmehr als Gesamtkunstwerk zu begreifen, an dessen künstlerischer Entwicklung seine Besucher Teilhabe erfahren, indem der normalerweise oft gesuchte „Missing Link“ strukturell zum Kernstück des Projektes gemacht wurde. Denn im „Stillen Post Projekt“ transformiert der Missing Link, er wird zum Link.  Und die Gäste der Ausstellung sind eingeladen, diesen Link zwischen den einzelnen Exponaten zu entdecken. Was wiederum eine völlig neue Betrachtung der einzelnen Kunstwerke zulässt und dazu einlädt, bisherige Sehgewohnheiten aufzubrechen. Der Blick richtet sich nicht mehr ausschließlich auf das Äußere des Einzelwerkes, sondern gleichzeitig auch auf die innere Beziehung zwischen den Einzelwerken, und damit unmittelbar auf das Gedankenwerk ihrer SchöpferInnen, sodass die Strukturen individuellen künstlerischen Sehens direkt wahrnehmbar werden. Eine Chance, die sich in dieser Unmittelbarkeit nur selten bietet.

So viel zur Theorie meiner eigenen individuell künstlerischen Sicht auf das Projekt. Ich bedanke mich bei der Urheberin Sabina Flora, bei allen helfenden Händen, die zum Aufbau der Ausstellung beigetragen haben und bei den Organisatoren vor Ort.

Ich hoffe, meine Worte können Ihnen, liebe Gäste, Anregung und Bereicherung bei Ihrem Rundgang durch die Ausstellung sein. Ich für meinen Teil wünsche Ihnen viel Freude, Erkenntnis und anregende Gespräche bei Ihrer Suche nach den die Exponate verbindenden Links und ich bin mir sicher, dass der eine oder andere Funke dieses Gesamtkunstwerkes auch in Ihren Köpfen lange über den heutigen Besuch hinaus lebendig bleibt, inspiriert und neue Perspektiven eröffnet.

Viel Vergnügen und herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!